Ins Unglücklichsein kann man sich verlieben


So heißt die Überschrift eines Interviews mit dem Schriftsteller Benjamin Lebert, 30 Jahre alt.
Ich gehöre der Generation an, die zwischen erwachsen werdenden Kindern und alt werdenden Eltern steht, aber wie steht es um die 30-Jährigen?
Ich habe eine Freundin, 32 Jahre alt, wohlbehütete Kindheit, die von sich selbst behauptet, dass sie nun mit Anfang dreißig zu pubertieren anfängt und sich wohl endlich von ihren fürsorglichen Eltern lösen muss. Ihre "Mädels", alle um die dreißig, haben innerhalb kurzer Zeit Trennungen langjähriger Partnerschaften durchlebt. Hauptgrund: Die Männer wollen sich nicht festlegen, keine Verantwortung für eine Familie tragen, sie sind nicht richtig gewillt.
In Gerald Hüthers Buch "Männer - das schwache Geschlecht und sein Gehirn" steht geschrieben, dass Liebe sehr viel mit Wille zu tun hat.
Benjamin Lebert hat mit dreißig Jahren bereits fünf Romane geschrieben. Er war dreieinhalb Monate in einer Klinik, da er an einer Essstörung litt:
Lebert:
Ich konnte die Eindrücke und die Vehemenz der Welt nicht mehr in mich hineinlassen. Und das hatte bei mir ganz konkrete Folgen: Ich konnte buchstäblich keinen Bissen mehr hinunterkriegen. Ich habe das Essen verweigert, der ganze Schluckprozess war schwierig. Das war wohl ein Ausdruck dafür, dass ich einfach nicht mehr wollte.
Vom Leben übersättigt? Oder was war so schwer zu schlucken?
Lebert:
Ich glaube, dass man sich ins Unglücklichsein  verlieben kann. Das sehe ich bei vielen Menschen meines Alters, die keinen Zugang zu unserer Zeit zu haben scheinen und sehr melancholisch sind. Dieses Unglück unserer Generation ist sehr identitätsstiftend. Und eine Identität ist natürlich erst einmal etwas Gutes.
Dann geht es um Schuldgefühle, wenn es einem schlecht geht.
Lebert:
Ich würde es nicht Schuld nennen, sondern Scham. Ich empfinde dem Benjamin gegenüber eine große Scham. Das war schon immer so. Und ich glaube, dass es so oder so ähnlich vielen jungen Männern geht, die sich nicht wohlfühlen. Sie denken, dass sie das eigentlich nicht dürfen, weil es den Generationen vor ihnen viel schlechter ging. Das macht die ganze Sache nur noch schlimmer. Dabei hadern doch so viele junge Männer auch deshalb mit dem Leben, weil sie das nun dürfen. Das müsste man als Freiheit begreifen. Es ist gut, dass man das jetzt mal darf.
Es ist gut, dass junge Männer sich nicht wohlfühlen dürfen? Sie müssten nur einsehen, das auch tun zu dürfen anstatt sich dafür zu schämen? Wer setzt das Maß, wann es jemandem so gut geht, dass es ihm nicht schlecht gehen darf? Wer bestimmt das? Der Vergleich mit den Generationen vor uns? Die Generation vor uns? Warum schämen wir uns, wenn es uns schlecht geht?
Der Soziologe Heinz Bude sagt, ein Grund für die Unsicherheit der jungen Männer sei die Tatsache, dass sie als erste Generation mit sehr selbstbewussten Frauen zu tun hätten.
Lebert:
Frauen gehen mit Unsicherheit anders um, sie zaudern nicht. Männer stehen meiner Empfindung nach den Dingen erst einmal staunend gegenüber, ohne etwas zu machen. Bei den Frauen kann man eher ein Ausbrennen beobachten. Die Männer dagegen verweigern sich.
Ich glaube, die "Mädels" meiner Freundin würden zustimmend nicken. Was tun mit dreißig, wenn die Männer gleichen Alters sich dafür schämen, dass es ihnen nicht gut geht und sie sich verweigern?
Und was wäre die Lösung für die Männer? Woher kommt die Scham, die Melancholie und was fehlt ihnen, das sie sich verweigern lässt? Was bräuchten sie?


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