Beziehungen sind wie ein freier Raum, in dem Geschichten erzählt werden


Heute las ich einen sehr interessanten Artikel des Münchner Paartherapeuten Wolfgang Schmidbauer. Es geht um Tipps zum Thema Rechthaberei.
Zuerst bringt er ein Beispiel aus der Paartherapie. Rechthaberei anhand einer Szene aus dem Ehe- und Familienalltag. Und er rät zu Humor, denn
Humor schafft Abstand. Abstand erleichtert es, die Komik zu erkennen, welche darin steckt, das Teilgute zu missachten, um das Absolutgute zu gewinnen, das - welcher Zufall - mich im Glanz des Rechthabens sonnt und den Gegner in den tiefen Schatten von Schuld und Beschämung stellt
Unter dem Teilguten versteht er den Vater, der sich zwar vor dem Elternabend drückt, aber mit den Kindern ins Schwimmbad geht. Dafür könnte er auch gelobt werden, denn so ein Vater ist immerhin besser als gar keiner. Und eine Mutter, die den Laden schimpfend zusammenhält, verdient Anerkennung und keine Schelte für ihre Überlastung. Stattdessen wird auf dem Absolutguten, sprich dem Rechthaben beharrt, indem dem anderen Leistungsversagen vorgeworfen wird, wo doch alle nur Anerkennung für das haben wollen, was sie in ihrem Rahmen beitragen können.

Wie er am Anfang erwähnt, suchen sich Paare nach den Gesichtspunkten aus, dass sie am Partner attraktiv finden, was sie denken selbst nicht zu haben. Und statt uns als Ergänzung zu erkennen, fangen wir nach dem Ende der Verliebtheit an zu streiten, weil der andere die Welt anders betrachtet als wir selber. Das, was uns anfangs verzückt hat, nervt irgendwann.
Der romantische Musiker, der uns mit seinen Gitarrenklängen becircte, will keinerlei Verpflichtungen eingehen und die raffinierte Gourmetliebhaberin, die den Geliebten mit Leckereien verwöhnte, kocht plötzlich mit derselben Leidenschaft nur noch vollwertig, weil das gesünder für alle ist.
Und er schafft es, dass ich mir das Paar im Streit vorstelle, der im Lachen endet. Sie mit Lappen und Putzeimer und er latscht mit einem glücksstrahlenden, unbekümmerten Lächeln vom Fußball spielen mit den Jungs und dreckigen Gartenclocks durch den frischgewischten Flur. Sie plärrt ihn an und er blafft  zurück. Der Streit ist perfekt und während sich beide hochschaukeln, schauen sie sich an und müssen lachen. Sie tauscht den Wischmob gegen seine Gartenclocks und während er den Dreck aufputzt, holt sie den Jungs ein Eis und hinterlässt eine extra Dreckspur.

Sehr spannend finde ich seine Bemerkung
Beziehungen sind wie ein freier Raum, in dem Geschichten erzählt werden
Was stellt er sich darunter vor??
Er gibt ein Beispiel für das, was er aus vielen Jahren Therapiearbeit für sich erkannt hat und das finde ich richtig gut.
Wir meinen viel zu oft Gutes zu tun, wenn wir ein Gegenüber mit Werturteilen verproviantieren.
Kinder sind selten so, wie ihre Eltern sie sich gewünscht haben – und Eltern ebenso wenig so, wie sie sich Kinder wünschen. Aber es wäre auch schrecklich, die Illusion vollständig aufzugeben, dass etwas von dem, was uns kostbar ist, in unseren Kindern weiterlebt. So denkt der Vater, der sich Gymnasium und Studium erkämpfen musste, sein Sohn wäre glücklich und dankbar, wenn er ihm den Weg in eine akademische Laufbahn ebnet. Aber sein Sohn zieht es vor, sich als Punk zu gebärden und nicht auf seine Noten, sondern seine Piercings stolz zu sein. Die Werte eines Aufsteigers und eines Punks sind unvereinbar. Wenn jetzt der Vater darauf beharrt, seinem Sohn zu sagen, was richtig ist – und der Sohn den Vater ignoriert oder als Spießer entwertet, scheitert die Beziehung zwischen beiden. Sie haben keinen Raum gefunden, in dem sie die Werte zurückstellen und sich gegenseitig Geschichten erzählen können. Einen Punk im Haus zu haben, der aus seinem Leben erzählt, kann sehr interessant sein. Wie es auch das Leben eines Aufsteigers ist, der sich mit unterschiedlichsten Jobs das Studium finanzierte und schließlich vorankam.
Und ich stelle mir vor, wie in den Haushalten freie Räume für Geschichten geschaffen werden und jeder seine Geschichte so erzählen kann, wie sie in ihm ist. Ohne abgeurteilt oder verurteilt zu werden. Diese Geschichten sind jede für sich einzigartig und eine Bereicherung für alle. Wenn wir nicht mehr rechthaben müssen mit unserer eigenen Geschichte, sondern es wagen über unseren Horizont zu schauen, dann wird unsere Welt größer und bunter.

Beziehungen sind wie ein freier Raum, in dem Geschichten erzählt werden.


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