Friede sei mit mir und Friede sei mit dir

Acht Jahre lang praktizierte ich Kampfkunst.
Karate war für mich eine Offenbarung, da es mir die Möglichkeit gab, etwas in einen körperlichen Ausdruck zu bringen, was lange in mir war und nicht gezeigt, geschweige denn gelebt werden durfte. Ich besuchte jedes Seminar, auf dem ich willkommen war und beobachtete die Menschen beim Praktizieren. Die Seminare wurden ausschließlich von Männern geleitet, im Prüfungskomitee saßen Männer, die Einstellung ist männlich.
Für mich war Karate immer ein Hilfsmittel für das Leben in der Wirklichkeit. Was ich für mich suchte, war das Ende des in mir tobenden Kampfes, hin zum inneren Frieden. Unter diesem Aspekt beobachtete ich meine Mitstreiter. Kämpfen sie gegeneinander oder miteinander?

Karate ist eine Lebenseinstellung, die nicht nur auf der Matte, sondern im gesamten Leben praktiziert wird. Werte wie Respekt, Dankbarkeit, Kameradschaftlichkeit, Friedlichkeit und das Erlernen von Selbstkontrolle führen über den Karate-Do zur Persönlichkeitsbildung. Im Karate gibt es keine Kritik, sondern Korrektur. Korrekturen geben dir die Möglichkeit dich zu verbessern. Die Bereitschaft zur ständigen Arbeit an sich selbst sollte nicht nur auf der Matte stattfinden, sondern auch im Alltagsleben. Sein Karate zu verbessern heißt sich selbst zu verbessern.

Ich habe gute Lehrer auf der Matte gesehen, technisch nahezu perfekt, überzeugend in der Auslegung der Karatephilosophie. Auf der Matte inspirierend und motivierend. Im wahren Leben aber steht dann oft wieder Ego und Profit im Vordergrund - Geld, Ansehen, Macht, das eigene Ich. Die Erkenntnis wird dem Ego geopfert und schafft es nicht in die wahre Verwirklichung. Korrekturen, die auf der Matte als Möglichkeit zur Verbesserung eingefordert werden, werden im wahren Leben als Angriff gesehen und ausgeschlagen oder ignoriert. Der Karate-Spirit wird nicht gelebt. Gäbe es im Leben Graduierungen, wer würde den 10. Dan im Menschsein erreichen?

Vor zwei Wochen fasste ich den Entschluss, mich aus dem Dojoleben zurückzuziehen. Die Auseinandersetzung zweier Lehrer, in der die Entwicklung von Friede und Milde im Herzen gefordert wurde, ohne Bereitschaft sie im eigenen Herzen zu entwickeln, brachte auch mich in Aufruhr. Um wahren Frieden und Milde in meinem eigenen Herzen entwickeln zu können, verlasse ich die Kampfschauplätze anderer.
Voller Dankbarkeit für alles, was mir gegeben wurde und woran ich als Karateka, als Mensch und auch als Frau wachsen durfte.

Am Samstag begegnete ich an einem völlig anderen Schauplatz einem Menschen, der sein Ego und den kleinen persönlichen Profit hinter sich gelassen hat. Angstfrei spricht er von Erkenntnis und einem Experiment, das sich zu einem Lebensmodell entwickelte. Friedlich nimmt er Provokation und Unterstellung. Lässt Bedenkenträgerei und Angriffslust bei denen, die sie hervorbringen. Und kommt immer wieder zurück zum Großen Ganzen und der Sache, der er sich widmet.
Raphael Fellmer, der Lebensmittelretter und Konsumverweigerer, spricht über sein Leben ohne Geld. Sind wir alle noch im Mangeldenken und haben nie genug, spricht er davon, dass alles in Hülle und Fülle da ist, mehr als genug. Raphael reist zur Zeit durch Deutschland, sei es als Botschafter für "foodsharing" oder als Buchautor. Man mag über ihn denken, was man will.
Außerhalb von irgendeiner Schule, sei es Seminarschule oder Dojo, überzeugt er mich mit seinem Menschsein. Er lebt das, wovon er überzeugt ist, unbeirrt und friedlich, voller Vertrauen im Glauben an das Gute im Menschen. Er weiß um die Sackgasse, in die wir uns bewegen, um die Endlichkeit der Rohstoffe, unsere Gier, unsere Ängste, unsere Kleingeistigkeit. Und hat den Mut mit seiner Frau ein zweites Kind in die Welt zu setzen. In die Welt, die wir mit unserer Selbstentfremdung zu vernichten drohen. Das ist für mich das Zeichen eines Menschen, der zutiefst vertraut.
Dieser Mensch macht mir Mut. Nicht durch das, was er sagt, sondern durch das, was er tut und was er ist. Für mich ist Raphael Liebe, Vertrauen und Friede.

Es braucht keine Schulen und es braucht keine Lehrer mehr für mich, es braucht Menschen, die bereits sind, was andere noch lehren.

Es gibt keinen Weg zum Frieden. Frieden ist der Weg.
Mahatma Gandhi

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