Das pisst mich an

Als ich gestern nach einer Rezension für ein philosophisches Werk suchte, kam ich auf die Seite von Helga König. Who the f... is Helga König? Ein Autorengroupie, das sich auf der Frankfurter Buchmesse mit Anselm Grün, Thomas Gottschalk und anderen illustren Persönlichkeiten ablichten lässt? Nein - Helga K. ist freie Journalistin, die sehr viele Bücher rezensiert, Interviews führt und mit ihrem Blog über Affiliates wohl auch am Verkauf der von ihr empfohlenen Produkte verdient.

Statt der Rezension, nach der ich suchte, kam jedoch ein Interview mit der Journalistin Tina Soliman. Frau Soliman schrieb vor einigen Jahren ein Buch über "Funkstille". Da ich mich darin nicht wiederfand, las ich es nicht. In einem Interview auf ihrer eigenen Seite, in dem sie auf das Thema Kontaktabbruch einging, dachte ich mir damals lediglich, dass sie, meines Erachtens, keine Ahnung vom Thema hat. Ich erinnere mich an eine Stelle, in der es hieß, dass Kontaktabbrecher in Familien ihre Identität hinter sich lassen wollen. Da fragte ich mich, über welche Identität sie da spricht, wenn man, wie ich, nie eine eigene Identität entwickeln durfte. Frau Soliman, die gerne auf die Meinung von Fachleuten zurückgreift (wer ist das?), stimmte damals in den allgemeinen Tenor ein, dass Kontaktabbrecher schwach sind und ihr Verhalten fragwürdig. Was nicht hinterfragt wurde, ist die Frage danach, ob es nicht legitim ist, eine übergestülpte Identität hinter sich zu lassen.

Auf ihrer Seite wurden Kommentare veröffentlicht (wurde inzwischen eingestellt) und die interessierten mich. Ihr Buch und die einseitigen Recherchen dafür, entfachten einen Sturm der Entrüstung von Seiten der Abbrecher. Diese Kommentare nutzte Frau Soliman für ein zweites Buch "Der Sturm vor der Stille". Im Interview mit Frau König spricht sie über dieses Buch und erneut fragte ich mich, über wen oder was diese Frau schreibt. Sie ist keine Betroffene, hat anscheinend keinerlei empirisches Wissen, stützt sich auf eine Abbrecherin und wiederholt auf die Meinung von Fachleuten, um sich ihre eigene Meinung zu diesem Thema zu stricken und den Grund für Kontaktabbruch erklären zu wollen. Es bleibt bei einem weiteren kläglichen Versuch. Mir ist klar, dass Frau Soliman dieses Buch für all die schockierten Verlassenen schreibt (ist sie eine Verlassene, die sich das Verlassenwerden so erklären will?) und ihre Einsicht, dass es wichtig ist zu akzeptieren, dass die Verlassenden eventuell eine andere Wahrnehmung von der Welt haben als die Verlassenen, ist ja nun schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Es wird wärmer. Vielleicht kommt die Erleuchtung ja im dritten Buch.

Gestern war so ein Tag, an dem mich ein solches Interview richtig anpisst. Es verstimmt mich. Meine eigene Familie, die hart am Thema ist und mit einem Menschen leben muss, der oft seltsame Verhaltensweisen an den Tag legt, die er inwischen aber, aufgrund tiefgehender psychischer Recherche, erklären und offenbaren kann, ist trotzdem oft nicht in der Lage, Verständnis für meine (Über)Reaktionen aufzubringen. Frau Soliman spekuliert, mehr ist es nicht. Sie bietet Spekulationen von Fachleuten an, die ihrem Tenor entsprechen. Was auch immer ihre Resonanz zu diesem Thema ist - der Horizont ist minimal erweitert.

Wenn ich dann meine Verstimmung mittels schlechter Laune verdaut habe (Meditation soll helfen, ich aber muss ganz laut mit den Dingen klappern, wobei ich lieber laut schreien würde, was wohl auch effektiver wäre) und wieder milder gestimmt bin, muss ich an den Spruch denken, den mir mal jemand gesagt hat:
Die Wissenschaft ist immer auf dem aktuellsten Stand des neuesten Irrtums. 
Das trifft wohl auf Vieles zu.
Für Frau Soliman kann ich nur hoffen, dass sie zu den glücklich Ahnungslosen gehört, die nie in die Fänge eines narzisstisch veranlagten Menschen geraten sind. Somit weiter spekulieren darf und nicht an den Kern gehen muss.
Ihr, all den Fachleuten und euch eine schöne Adventszeit.


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