Innere Führung

Liebe K.,

das klingt nach Anstrengung.

Ich kenne das aus Phasen von Übergängen. Das Alte nicht mehr da, das Neue nicht in Sicht. Bei Umzügen. All das Vertraute eingepackt, kein Schutzraum mehr. Alles muss wieder seinen Platz finden. Das ist ein Prozess.

Du bist auch in einem Übergang. Schule vorbei. Kein Plan wie es weitergeht. Desorientierung. Und die Frage, ob es an den neuen Plätzen gut wird.

Da ich zu den Menschen gehöre, die kein Urvertrauen entwickelt haben, fehlt mir oft das Selbstvertrauen. Kein Mensch glaubt mir das. Meine Außenwirkung ist eine andere. Aber es ist so. Oft habe ich mich gefragt, was mir den Mut für all die Brüche und Veränderungen gegeben hat. Im Außen hatte ich nie Führung. Nur Menschen, die mich für ihre Zwecke und Bedürfnisse einsetzen wollten. Ich sehnte mich immer sehr nach einer weisen Frau, die mir den Weg zeigt. Oder mir zumindest mal zuhört. Jemand, der für mich da ist. Der mich spürt ohne viele Worte verlieren zu müssen. Diesen Menschen gab es leider nie in meinem Leben. Ich vermisse ihn noch immer schmerzlich.

Es ist meine innere Führung, die mir die Kraft gibt. Und das Wissen darüber, dass nichts für ewig ist. Ich muss nirgendwo bleiben, wo es mir schlecht geht.
Als ich damals die Krankenschwesternausbildung abgebrochen habe, ging es mir sehr schlecht. Ich hatte großen Liebeskummer. Meine erste Liebe und Beziehung, die 4 Jahre angehalten hat, ging in die Brüche. M. war mein bester Freund. Er war der, mit dem ich über alles reden konnte. Alleine sein Dasein hat mir geholfen, nicht am Leben zu verzweifeln. Jede Ecke in unserer Stadt hat mich an ihn erinnert. Ich wohnte im Schwesternwohnheim und war unendlich einsam. Ich konnte nicht mehr weitermachen. Wenn ich nicht in der Schule oder auf Station war, lag ich nur im Bett und kümmerte vor mich hin. Keiner merkte, wie schlecht es mir ging. Nach außen war ich die Starke. In meiner Familie fragte keiner danach, wie es mir mit dem Ende der ersten großen Liebe ging. Alle waren beschäftigt mit sich selbst. Es gab auch noch andere Gründe für den Abbruch. Das würde aber zu weit führen.
Ich hatte damals kein Geld und habe überall geschlafen, wo ich untergekommen bin. Mein Hab und Gut hat in einen Rucksack gepasst.
Seitdem weiß ich, dass ich es immer schaffen werde mich selbst zu retten. Auch wenn die Umstände noch so schwierig sind. Ich habe einfach auf mein Inneres gehört. Etwas wusste, was zu tun ist. Und sagte „Geh, bevor es zu spät ist“. Zwei Mal in meinem Leben wäre ich beinahe in eine Psychose gerutscht. Liebeskummer und Einsamkeit waren die Auslöser. Ein schleichender Prozess. Beide Male kamen Dinge in mein Leben, die mich aufweckten und mir die Kraft gaben zu handeln. Veränderungen zu bewirken. Mich neu zu orientieren statt mich aufzugeben. Ohne zu wissen wie es weiter oder ausgeht. Ich dachte „Schlimmer kann es nicht werden“.

Ich glaube ganz fest daran, dass wir alle diese innere Führung haben. Viele hören oder fühlen sie nur nicht. Du hast sie auch. Es hilft die Fragen, die das Leben aufwirft, in sich selbst hinein zu stellen und dann zu hören, was an Antworten kommt. Manchmal kommen sie in Träumen, manchmal ganz früh morgens nach dem Aufwachen und manchmal wie ein Blitz. Aber plötzlich weiß man, was zu tun ist. Es ist ein tiefes Inneres Wissen, das einem die Kraft für Entscheidungen gibt. Diese Form von Wissen erübrigt jede Diskussion. Man weiß es einfach. Darüber reden würde es entwürdigen. Alles was du tun musst, ist wach zu sein. Um die Antworten zu erkennen, zu hören. Du musst bei dir selbst sein. Immer präsent dir selbst gegenüber.

Die Menschen suchen nach Sicherheit. Deswegen raten dir viele zu scheinbar sicheren Wegen. Dinge mit geringem Risiko. Geld, Status, Eigentum ist wichtig. Alles Materielle und Positionen in der Hierarchie sind scheinbare Sicherheiten. Aber es gibt keine Sicherheit im Außen. Es gibt stetige Veränderung. Wer sich Veränderung entgegenstellt und sich an scheinbare Sicherheiten klammert, erstarrt. Genau das passiert gerade in unserer Gesellschaft. Wir haben nichts unter Kontrolle. Wir können uns mit und an den Veränderungen entwickeln, was bedeuten kann, erst einmal alles zu verlieren, um neu anzufangen. Unserer inneren Führung vertrauend.

Ich weiß, dass du das hast, dass du es kannst und dort hinkommst. Es ist keine Sache des Willens oder des Trainings. Es ist eine Sache des In-Sich-Gehens, Sich-Selbst-Zuhörens, Sich-in-sich-Selbst-Anbindens, des Sich-Selbst-Hingebens.
Du lernst das in keiner Einrichtung oder Therapie. Hier lernst du Mittel und Werkzeuge kennen, die dir den Umgang mit deinen Störungen erleichtern. Die innere Führung hat nichts mit Analyse zu tun. Sie entzieht sich dem Verstand. Du kannst sie nicht fassen, nur wahrnehmen. Das ist etwas, was du alleine dir selbst geben darfst. Es braucht keinen anderen.

Du schaffst das.
Deswegen bin ich in deinem Leben. Deswegen hast du Kontakt zu mir aufgenommen.

Deine I. 



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