German Angst

German Angst - was ist das?
Dieser Begriff enstand in den achziger Jahren in den USA und was er in den Augen der Leute bezeichnet, die uns damit verbunden sehen, wissen wohl letztendlich nur sie. Es gibt weitreichende Interpretationen in Politik und Wirtschaft. Da mich jedoch das interessiert, was darunter liegen könnte, deute ich es mal als "Zögerlichkeit, Mutlosigkeit, Pessimismus".

Nun bin ich bei Sabine Bodes 2008 erschienenen Buch "German Angst" und dort wird diese Bezeichnung mit dem Hang der Deutschen zum Grübeln und ihrer merkwürdigen Zukunftsangst erklärt.

Zitate aus dem Buch:
Gemessen daran, wie schnell hierzulande ausländische Stimmen zur "deutschen Schuld" in die Schlagzeilen gelangen, dauerte es verblüffend lange, bis sich unsere Politiker den Befund vom verängstigten Deutschen zu eigen machten. Seit einigen Jahren gehört "German Angst" zum Vokabular der öffentlichen konsensfähigen Zustandsbeschreibung. Der Bundestagspräsident aus der Zeit der rot-grünen Koalition, Wolfgang Thierse, orakelte auf dem Katholikentag 2004: "Von German Angst spricht man im Ausland mit Blick auf unsere kollektive Gefühlslage. Angst wovor? Ist das eine kollektive, eine nationale Lebensangst? Ist es die Angst vor der Politik als solcher? Angst vor den realen Folgen der Politik - einer Politik, die erst falsche Versprechungen von blühenden Landschaften und immerwährendem Wohlstand aufbläst und dann an der Realität scheitern muss?
Dies könnte dazu beitragen, dass wir uns als Deutsche besser verstehen, auch in unserer Maßlosigkeit, auch in der weit verbreiteten Sorge zu kurz zu kommen, weshalb die meisten gesellschaftlich relevanten Gruppen in Besitzstandswahrung verharren. Wenn Menschen unabhängig von ihrer Einkommensgruppe sich so verhalten, als seien sie ständig davon bedroht zu verarmen, dann wäre es hilfreicher, die dahinter verborgene Angst aufzudecken, als die angebliche Gier oder den Geiz zu geißeln. Der SPD-Politiker Hans Koschnick hat keine Mühe, hier die Folgen eines kollektiven Traumas zu erkennen. Aber er sieht auch: Weil die Deutschen sich das nicht bewusst machen, mangelt es - seit der Traum vom ewigen Wachstum ausgeträumt ist - an Solidarität untereinander wie auch an Solidarität zwischen Deutschen und Ausländern.
"Wir haben unser Leid nicht fruchtbar gemacht", sagt Koschnick.
Und nun geht es darum, wie wir unser Leid fruchtbar machen können. Mitgefühl statt Selbstmitleid ist gefragt. Aber was ist der Unterschied?

Das hatten wir in der Tat schon einmal, dieses Selbstmitleid. Aber Mitgefühl mit sich selbst ist etwas völlig anderes. Es führt in die entgegengesetzte Richtung. Es führt aus der Sprachlosigkeit und aus der Opferrolle heraus. Es verringert Stress und Frust, es schärft die Wahrnehmungsfähigkeit dessen, was uns als Realität umgibt. Und es versetzt uns auf längere Sicht in die Lage - um Koschnicks Gedanken positiv zu wenden - unser Leid fruchtbar zu machen.
Wir sind geistig nicht frei. Dafür ist die Scham und damit die Last, deutsch zu sein, noch zu groß. Aber wir könnten auf dem Weg dorthin durch Selbsterkenntnis einen gewaltigen Schritt vorankommen. Wir müssen uns nicht länger als Opfer oder als Unfähige fühlen und uns ständig selbst abwerten. Es gibt keinen Grund zu jammern, keinen Grund für Selbstmitleid - aber gelegentlich Grund für Tränen der Trauer. Das wird immer dann sein, wenn wir uns als Einzelne, als Familien, als Nation den belastenden Auswirkungen unserer Vergangenheit stellen, indem wir unsere Gefühle zulassen. Verluste rein kognitiv zu verarbeiten, kann nicht gelingen. Es ist die Trauer, die heilt.
Wir besitzen als Gemeinschaft das, was man bei Individuen Krisenkompetenz nennt. Wir haben zwei Diktaturen überwunden, und wir haben - mit Hilfe und auch Druck der Aliierten - eine stabile Demokratie etabliert und ein vollständig zerstörtes Land wieder aufgebaut. Nicht einmal der ungeheure Kraftakt Wiedervereinigung ist gescheitert.
Deutschland hat es in der Vergangenheit zu großem Wohlstand gebracht, der sich in Zukunft realistischerweise verringern wird. Aller Voraussicht nach haben wir Unsicherheiten zu erwarten - keine Katastrophe. Die Katastrophe haben wir hinter uns. Lang ist sie her, doch die mutlose Stimmung im Land legt nahe, dass wir diese zurückliegende Katastrophe noch nicht komplett überwunden haben. Ich glaube, sie steckt uns noch in den Knochen oder besser: in den Seelen; sie verwandelt Ratlosigkeit in Hoffnungslosigkeit und ist am Entstehen irrationaler Ängste und apokalyptischer Fantasien beteiligt. Angst wird von Eltern an die Kinder weitergegeben - ein geläufiges Thema in jeder psychologischen Praxis. Solche Ketten der unbewussten Weitergabe wollen ernst genommen werden. Nur so kann irrationale Angst daran gehindert werden, sich wie ein Virus in den nachfolgenden Generationen auszubreiten.
Auf ihrer Suche nach Gesprächspartnern aus Politik, Geisteswissenschaften, Hirnforschung, Psychotherapie, Literatur und Finanzwesen, erhielt Frau Bode unterschiedliche Rückmeldungen. Eine davon zitiert sie:
Die Deutschen sind gewiss keine Weltmeister im Optimismus, sie verstehen sich aufs Jammern, sie schauen auf die Löcher im Käse und können sich endlos mit Bedenkenträgerei aufhalten. Mag auch sein, dass sie ein großes Sicherheitsbedürfnis haben. Aber Angst? Nein. Und wo, bitte schön, sollte diese Angst denn herkommen? Aus der Nazizeit, aus dem Krieg? Lieber Himmel! Wir sollten endlich aufhören, wie besessen in der Vergangenheit zu wühlen. Was uns fehlt, sind Visionen für die Zukunft! Was sagen Sie? Es ist gerade die Angst, die Visionen verhindert? Herrje, was kommt denn jetzt noch? Was schlagen Sie vor? Wollen Sie ein ganzes Volk auf die Couch legen?
Angst verhindert Visionen

Ohne Vision kein Ziel. Um unsere Energie zu mobilisieren brauchen wir ein Ziel. Angst lähmt.
Und nun werfe ich mal in den Raum:

Sehr geehrter Herr Schirrmacher, ich habe da eine IDEE!
Vielleicht ist es ja nicht nötig ein ganzes Volk auf die Couch zu legen, aber vielleicht die Leute, die in die Politik gehen. Denn sowohl unbewusste Angst, wie auch Selbstüberschätzung (laut Herrn Schmidbauer gerne als Schutz vor möglichen Kränkungen verwendet) verhindern eine realistische Einschätzung der Lage, sowie Ideenreichtum.
Vielleicht wären Herr Guttenberg und Herr Wulff und so einige andere Vertreter der Babyboomer in der Politik und Wirtschaft nicht gescheitert, hätten sie mal in ihrer Vergangenheit aufgeräumt und kollektive Trümmer entsorgt. Vielleicht hätten wir dann heute Zukunftsvisionen statt Leere in der wirtschaftlichen und politischen Landschaft. Und dazu wären sie großartige Vorbilder für alle ihrer Generation, Vorbilder für Mut - Mut aufbringen sich den eigenen Gefühlen und den Schatten der Vergangenheit zu stellen.
Mir würde das imponieren und sehr gut gefallen.

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Eine Übersicht zum Thema finden Sie auf meiner Website unter "Traumatisierte Familien". 

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Mehr Gedanken zu diesem Thema unter "Kriegskinder - Die vergessene Generation", "Verlassene Eltern", "Kriegsenkel - Die Erben der vergessenen Generation", "transgenerationale Traumata", "Du hast mich nie gesehen!", "Ein System für das es noch keinen Namen gibt"

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