Kleine Alltagsfreuden

Es gibt Dinge im Leben, für die ist man nie zu alt. Und es gibt Traditionen, die verlieren nicht an Wert.

Morgens aufwachen, draußen ist es noch dunkel, dicke Socken anziehen, die Treppe runterschleichen, Ausschau halten. Wo sind die 24 Päckchen, die ausgepackt, die 24 Türchen, die geöffnet, die 24 Säckchen, die aufgeknüpft, die 24 Socken, die geleert werden wollen? Es ist der 1. Dezember, Saisoneröffnung der Adventskalender.

Am Wochenende besuchte ich eine Freundin in Frankfurt. Sie freute sich wie ein Schneekönig über mein Mitbringsel, einen Schokoladenadventskalender. "Ich hab noch keinen und sich selbst einen Adventskalender kaufen ist doof. Den muss man geschenkt bekommen!" Stimmt!

In der Nacht vor dem 1.12. sitzen mein Mann und ich auf dem Wohnzimmerteppich zwischen Früchteriegeln, Keksen, Gummibärchentüten und Schokotäfelchen. Um uns herum Geschenkpapier, Scheren, Tesa, Wickelbänder. Er packt 24 Päckchen für den Sohn und ich 24 Päckchen für die Tochter, die dann am Treppengeländer aufgehängt werden. Das machen wir seit vielen Jahren und seit einigen mit dem Gedanken "Ist es das letzte Mal?" Vor zwei Jahren fragte ich meine Tochter, ob sie das denn noch wolle oder vielleicht schon rausgewachsen ist und ich bekam die entrüstete Antwort: "So lange ich daheim wohne, will ich meinen Adventskalender!" Heute, nach dem Öffnen des ersten Päckchens, ließ sie nebenbei die Bemerkung fallen, dass manche Eltern den ja noch für ihre Kinder machen, auch wenn die nicht mehr zu Hause wohnen. Kindheitserinnerung, Kindheitsverlängerung, Kindheitsgefühl.

Auf den dicken Socken bin ich heute übrigens die Treppe hinuntergeschlichen. Denn seit ein paar Jahren bekommen auch mein Mann und ich einen Adventskalender. 24 Fotos aus dem zurückliegenden Jahr, die noch einmal zeigen, was wir so erlebt haben. Die letzten Jahre eingebacken in Glückskekse, diesmal von selbstbemalten Wäscheklammern am Ast gehalten. Die Minifotos werden an die Kühlschranktür geklebt und erfreuen mich jeden Tag aufs Neue.

Adventskalender wollen geschenkt werden.


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