Brief an meinen Vater

 Lieber Papa,

bester Schaschlikzubereiter, ich weiß nicht mehr, was wir gegessen haben, aber wir haben es scheinbar genossen. Wir hatten einen ähnlichen Geschmack - lieber salzig als süß, lieber deftig als lasch. Ich mochte deine Tomaten mit rohen Zwiebeln drauf und die selbstgeriebenen Baggers. Wenn wir über deinem Schaschlik saßen, brauchte es keine Worte mehr.

Ich erinnere mich an unser Gespräch im Auto, als ich dich zur Beerdigung deiner Schwester M. begleitete. Ich sagte, dass ich alt werde. Du hast gelacht und geantwortet "Mädel, ein paar Falten hast du bekommen, aber von der Ahnung, was es bedeutet alt zu werden, bist du noch weit entfernt." Das war im Sommer 2007.

Manchmal sehe ich dich mit R. einen Walzer tanzen. Nie im Leben konntest du das, es ging immer nur ein "Schieber", wie du es nanntest. R. liebte den Rock´n Roll und überragt dich kleinen Mann um eine ganze Kopflänge. Aber vor meinem Auge tanzt ihr beide einen formvollendeten Walzer. Ich kann sogar die Musik hören. Ihr seid so fröhlich und lacht miteinander. Das tut gut.

Im März wärst du 93 geworden. Wärst du da, würden wir mit einem Gläschen Grappa auf deine Impfung anstoßen. Ich hoffe, dass du an einem Ort bist, der heller und liebevoller ist als die Welt, in der du hier gelebt hast. Ich wünsche dir, dass du frei bist von Schmerz, Kummer und Sorgen. Ich danke dir für dein gutes Herz, das ich erst spät, aber nicht zu spät, erkannte, für deine Hilfsbereitschaft und für den Frieden, den du am Ende mit mir geteilt hast. Danke, dass ich bei dir sein und deine Hand halten durfte.

Du fehlst mir.

In Liebe,
deine Tochter



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