Sehnsucht
Sehnsucht ist die Sucht sich nach etwas zu sehnen. Oft nach etwas, was unerreichbar scheint. Ich war ein Sehnsuchtsjunkie.
Mit zwölf verknallte ich mich in einen blonden Wuschelkopf aus der Pfadfindergruppe meines älteren Bruders, der kein Interesse an mir zeigte. Dann in einen jüngeren Pfadfinder aus meiner Gruppe, der genau so wenig Interesse zeigte. Mit fünfzehn verliebte ich mich in einen Klassenkameraden und meine sehnsüchtige Beharrlichkeit zahlte sich aus. Eineinhalb Jahre später kamen wir zusammen, der Beginn unserer Beziehung läutete das Ende dieser Sehnsucht ein um eine neue zu kreieren. Denn alles war anders, als ich es mir in meinen Veilchenträumen zurechtgelegt hatte. Er war tatsächlich edel, hilfreich und gut, aber ich war nicht bescheiden, sittsam und rein. In mir zeigten sich Dinge, mit denen ich schlecht zurecht kam. Ich war eifersüchtig, besitzergreifend, anstrengend. Er war der Prinz aus gutem Haus, der mich in die Villa mit großen Garten einführte. Es war toll, mir erschloss sich eine Welt, die ich vorher nicht kannte. Bücher kannte ich nur aus der Bibliothek und im Schloss gab es sie zuhauf. Es war einfach alles da, sogar der Hund. Diese Welt war mir fremd und ich fand nie meinen Platz. Auch wenn Aschenputtel schöne Kleider anzieht, es verrät sich durch Unkenntnis. Nach vier Jahren entschieden wir uns für ein Ende mit Schrecken statt dem Schrecken ohne Ende.
Ich war um eine Illusion ärmer und eine Erfahrung reicher. Ich bin keine geborene Prinzessin und den Prinzen gibt es nur mit Familie.
Wenn ich keine Prinzessin bin, dann werde ich Abenteurer.
Ich sehnte mich nach Freiheit und träumte davon sie an einem Strand zu finden. Was ich verdiente, gab ich aus für Reisen und klapperte die Strände ab, aber die Freiheit war nirgendwo zuhause. An den Stränden fand ich streunende Hunde und verlorene Menschen, die sich von etwas befreien wollten. Ich traf mich selbst. Und ich traf einen Abenteurer, der einen Nerv in mir traf. Zuhause auf einem anderen Kontinent, erforschte er den, auf dem ich lebte und er erzählte mir Geschichten von Jagd, Fischen, Angeln, Kanu fahren, von Eisbergen, Bären und unberührter Wildnis. Er zog mich in seinen Bann und ich machte mich auf ihn zu besuchen. Drei Monate später stand ich ihm am Flughafen gegenüber und alles sollte anders kommen als gedacht. Seit meiner frühen Jugend träumte ich vom Auswandern, aber die Wildnis entpuppte sich als Falle. In der Hütte am Fjord wurde mir klar, dass ich nicht vor meinen Problemen davonlaufen kann. Wo auch immer ich hingehe, ich nehme mich selbst mit.
Sehnsucht ist das Kleben an einer Illusion.
Sie ist die Seifenblase, die wir uns in den schönsten Farben groß und schillernd blasen und in der wir süchtig treiben. In ihr entführen wir uns selbst aus dem drögen Alltag. Irgendwas ist besser als das, was wir haben. Sehnsucht ist der Kitschroman, in der die einsame schöne Frau den besten aller Männer abbekommt.
Sobald wir das erhalten, wonach wir uns sehnen, platzt die Blase und wir fallen auf den Boden der Tatsachen. Das Wunderland, das wir sahen und in dem wir uns niederlassen wollten, besteht lediglich aus bemalten Pappkulissen und dahinter erstreckt sich die Realität. Rosamunde Pilcher und Australia tun dem wunden Herzen gut, aber sie verschleiern unseren Blick auf das, was ist. Der Prinz wird psychotisch, der Abenteurer sesshaft und das Veilchen, das so gerne Prinzessin oder Abenteurerin geworden wäre, wird Mutter und wechselt Windeln.
Das ist das wahre Leben und es zeigt die Dinge, wie sie sind. Wer seinen Geist kennenlernen will, muss lernen den Dingen ins Auge zu sehen und sich zu desillusionieren. Desillusion bedeutet frei zu werden von Sehnsucht und offen zu werden für Klarheit.
Klarheit entspringt der Sehnsucht nach Wahrheit und dem Entzug von Illusion.
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Eine Übersicht zum Thema finden Sie auf meiner Website unter "Küss mich ... oder wirf mich an die Wand".