Brief an meine Mutter IV
Liebe Mama,
als M. und ich letzten Samstag an unserem Küchentisch saßen, beobachteten wir eine uns unbekannte Frau, die einen Brief bei uns einwarf.
Der Brief war anonym, es stand vorne jedoch mein Name und die vollständige Adresse darauf. Das ist beklemmend.
Ich habe diese Frau noch nie gesehen, wir haben kein Wort miteinander gewechselt, sie hat mich nie gefragt und doch scheint sie sich eine Meinung gebildet zu haben.
Neben einem Zeitungsausschnitt enthielt der Brief eine handschriftliche Notiz „Bitte genau (das genau unterstrichen) lesen und darüber nachdenken“.
Welches Recht nimmt sich diese Person heraus, mir anonym einen Appell in den Briefkasten zu werfen? Woher kennt sie meine Adresse? Woher die Thematik Kontaktabbruch? Ich empfinde das als aufdringlich und grenzüberschreitend.
M. findet es perfide.
Hätte sie bei uns geklingelt und um ein Gespräch gebeten, hätte ich ihr die Adresse meiner Website und meines elektronischen Tagebuchs geben können. Sie hätte sich ein Bild verschaffen können und wäre vielleicht zu dem Schluss gekommen, dass ich durchaus schon sehr viel nachgedacht habe. Einige mir nahestehende Personen finden, dass ich zu viel nachgedacht und dem Thema zu viel Raum gegeben habe.
Vielleicht hätte sie erkannt, dass sie sich nicht in Dinge einmischen sollte, von denen sie keine Ahnung hat. Dass man immer zwei Seiten anhören sollte statt zu unterstellen.
Ich möchte dich wissen lassen, dass ich meinen Frieden geschlossen habe mit dem Gefühl der Leere, das ich schon sehr lange mit mir trage.
Die Leere, die verursacht wird, wenn eine Mutter nicht emotional für ihr Kind da ist. Wenn sie Versprechen nicht hält, wenn sie kindliches Vertrauen zerstört und emotional manipuliert. Wenn sie vor anderen schlecht spricht über dieses Kind, schlecht spricht über den Vater des Kindes und Konkurrenz schürt zwischen den Geschwistern. Wenn sie neidisch ist und später nicht einmal Halt macht vor dem Ehemann und den Kindern ihrer Tochter.
Ich glaube wir empfinden ähnlich.
Auch du kennst das Gefühl der Leere. Des Sich-alleine-gelassen-Fühlens. Das tut mir sehr leid für dich. Aber du hast dieses Gefühl nicht für dich alleine gepachtet. Ich fühle auch so.
Es wäre schön, wenn auch du Frieden schließen könntest mit diesen Gefühlen. Und, falls diese Frau in deinem Auftrag kam, es unterlässt Botschafter zu schicken, die mir anonyme, aber eindeutige Meinungen zukommen lassen. Ich beschäftige mich nicht mit Nachrichten von Menschen, die ich nicht kenne, die sich nicht vorstellen, aber denken sie hätten ein Recht in mein Leben einzudringen.
Ich habe dir mehrmals angeboten die ganze Thematik vor einem Mediator zu besprechen. Du hast nie einen Schritt mitgemacht. Bist in deiner Meinung festgesessen und wolltest, dass ich Dinge tue, die dir gut tun, die du dir wünscht, die du für richtig hältst und zu denen du nichts dazutun musst.
Du hast mir nie wirklich zugehört.
Du hast mich immer nur interpretiert.
Ich akzeptiere dein Verhalten.
Akzeptiere bitte auch meines.
Deine Tochter