Der therapierte Mann oder Männer kennen (k)einen Schmerz

Der Mythos vom unkomplizierten Geschlecht
Gestern hatte ich kurzen Whatsappkontakt mit einer Freundin. Ich schrieb
Menschen, die von sich behaupten unkompliziert zu sein, sind noch viel anstrengender als die komplizierten. Es gibt nämlich keine unkomplizierten Menschen. Es gibt unbewusste.
Ihre Antwort
Das, was man von sich behauptet, ist oft genau das Gegenteil von dem, was man ist. Wenn man unbewusst ist.
Ihre Erkenntnis zu diesem Thema ist empirisch. Gewonnen auf einer Partnerschaftsplattform. Dort hat sie herausgefunden, dass die suchenden Männer gerne in ihrem Profil Eigenschaften angeben, die eher ihrem Wunschbild von sich selbst entsprechen als der Realität. Meine Freundin neigt zur Bodenständigkeit und hat, in meinen Augen, kein überzogenes Bild von Romantik. Deswegen glaube ich ihr, wenn sie sagt, dass Männer auf diesen Plattformen gerne von sich behaupten romantisch zu sein, sie aber selten unromantischere Begegnungen hatte. Ein Trick? Ein verschobenes Selbstbild? Keine Ahnung von Romantik? Keine Ahnung wer sie sind?

Im neuen ZEIT-Magazin Nr. 36 gibt es einen Artikel "Männer, lasst euch helfen!" Untertitel "Endlich trauen sich die Männer zu einem Psychologen zu gehen. Was geschieht da mit ihnen? Eine Reise in eine verborgene Gefühlswelt".

Und einer der drei Männer, die dort vorgestellt werden, sagt
Das Gefühlsleben der Männer ist schon immer kompliziert gewesen, sie haben sich nur nicht damit beschäftigt. Aber die Anforderungen an Männer sind heute eben komplexer und da erlebe ich bei Männern viel zu sehr das Bedürfnis, den widersprüchlichsten Erwartungen zu entsprechen, anstatt sich zu besinnen: Was will ich eigentlich? Wie stelle ich mir eigentlich Männlichkeit vor? Viel zu oft werde gefragt: Wie hat der Mann heutzutage zu sein?
Im Artikel werden drei Männer vorgestellt, die alle mit Therapie zu tun haben.

Der ehemalige Unternehmer
Ein österreichischer Bauernsohn aus kinderreicher Familie, der von der Schule flog, Autoverkäufer wurde und eine steile Karriere zum Unternehmer (eigenes Autohaus) startete. Früh verheiratet, junger Vater (erstes Kind mit 22 Jahren), Hausabzahler, mit 30 beginnende innere Unruhe und Leere, die mit Statussymbolen (Porsche, Harley) und Alkohol verdrängt werden. Körperliche Symptome: starke Verspannungen, Kopfschmerzen, Druck im Bauch, mit 38 Jahren die ärztliche Diagnose: chronische Schmerzen, mit denen er leben muss. Ehe auf dem Tiefpunkt, Nervenzusammenbrüche. Er macht neben seinem Job als Chef eines Autohauses eine berufliche Fortbildung zum professionellen Sozial- und Lebensberater (um seine Mitarbeiter besser verstehen und Kunden besser beraten zu können). Die Ausbildung wird zur Selbsttherapie. Er verkauft sein Unternehmen und gründet ein Bildungshaus, wirbt mit Unternehmerkraft, Führungskräftecoaching, Stressprävention, Zeitmanagement, Büroorganisation. Sein Fazit
Männer haben keine Depressionen - sie bringen sich höchstens um.
Im Laufe meiner Ausbildung sind mir Monat für Monat Lichter aufgegangen. Ich lernte, warum Männer so lange am äußeren Erfolg festhalten, ihre Beschwerden ignorieren, sich selbst belügen. Der Hauptgrund ist bei vielen die fehlende Anerkennung durch den Vater oder die fehlende Liebe der Mutter. Viele Männer werden erfolgreich aus einem Mangel an Zuwendung, deren große Lebenslüge lautet: Du bist nur dann etwas Wert, wenn du viel Anerkennung kriegst.
Acht Jahre hat er selbst gebraucht, um aus seinem Tief herauszukommen.
Die Zeit, die vergeht zwischen der Erkenntnis, du musst was ändern, bis zu dem Punkt, wo das verinnerlicht ist, ist eine ganz große Herausforderung. Für viele dauert es zu lang, und sie schaffen es nicht. Weil es so mühsam ist, diesen Weg der Selbstbestimmung zu gehen, geben viele wieder auf und fallen zurück in alte Muster.

Ein Therapeut nur für Männer und ein Buchschreiber
Ein Männertherapeut aus der man-o-mann männerberatung, Autor des Buches Männer: Erfindet. Euch. Neu. - Was es heute heißt, ein Mann zu sein.
Zuständig für den wortkargen Mann, der sich nicht in die Karten gucken lassen will, alle Geschwätzigkeit verachtet und wenn schon, dann eher an Burn-out leidet als an Depression. In seinem Buch unterscheidet er zwischen Männerkrisen, die als Teil der männlichen Existenz akzeptiert und als Chance gesehen werden sollten und den Männerkatastrophen wie Suizid und Selbstzerstörung.
Die traditionelle Männlichkeit existiert noch, bröckelt aber. Bei der modernen Männlichkeit weiß niemand so genau, wie sie definiert ist oder für welche Version man sich entscheiden sollte. Leute, seid froh, dass das alles im Zerfall ist! Wir brauchen die alten Rollenbilder nicht mehr.
Er selbst geht den Weg der "Emanzipation des Mannes".
Emanzipation ist eine Hinwendung zu sich selbst, die dazu führt, dass auch die anschließende Hinwendung zu anderen leichter fällt. Wo die Hinwendung zu sich selbst unterdrückt wird, entsteht eine meist unbewusste Unwilligkeit, sich dem anderen zuzuwenden und etwas für ihn zu tun. Manchmal sogar eine infantile Bockigkeit.
Der therapierte Mann, das klingt so nach "durchtherapiert", als ob das einen Anfang und ein Ende habe. Man müsse wegkommen von diesem "Katharsis-Denken", so laufe Therapie nicht. Statt einer filmreifen Erweckung, nach der nichts mehr ist wie zuvor, erwartet den modernen Mann in der Therapie eher eine stetige Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen - und weniger Veränderung, als viele hoffen. Oder befürchten. Unsere psychischen Mechanismen sind unglaublich stabil. Es geht nicht darum sie wegzukriegen, sondern darum, zu lernen, mit ihnen umzugehen. Oft brauchen wir dafür eine Krise.
Ein Therapeut mit Männerquote
Ein Therapeut und Coach, der sich in seiner Praxis zu einer Männerquote verpflichtete (mindestens 50 Prozent) und seine Motivation für die Arbeit mit Männern damit begründet, dass er vier Brüder und drei Söhne hat. Für ihn muss eine Männertherapie handlungs- und sachorientiert sein. Seine Patienten bewegen sich zwischen 18 und 93 Jahren und er beobachtet, dass jüngere Männer mit der gleichen Selbstverständlichkeit zum Psychotherapeuten gehen wie Frauen. Sein globales Ziel für die therapierten Männer:
Dass sie flexibler werden in ihren Reaktionen. Dass sie sich besser kennenlernen. An welchen Stellen reagiere ich klassisch männlich - und wo finde ich das vielleicht sogar ganz gut?
Der Grund für die männliche Therapieverweigerung
Psychotherapie gilt ja für viele Männer noch immer als etwas für "Weicheier". Dahinter steckt ein traditionelles Männerbild, das sich nach wie vor hartnäckig hält: Männer kennen keinen Schmerz! Da werden kantige Kiefer zusammengepresst und sich durchgebissen. Und da gibt es die Angst, dass es in einer Psychotherapie darum gehe Männer weniger männlich zu machen. Die tiefsitzende männliche Angst davor, durchschaut zu werden.
Weil sie Angst haben, mit diesem Schmerz, der unter der Oberfläche verborgen ist, in Verbindung zu kommen.
Weit verbreitet ist noch immer das 
Gesetz der Traditionellen Männlichkeit
Mann-Sein heißt, keine Gefühle zu haben
Es ist verboten, Dinge zu tun, die mit Frau-Sein assoziiert sind
Es ist verboten, Männer zu begehren
Es ist verboten, Dinge zu tun, für die Männer „nicht gemacht“ sind
Es ist verboten, zu versagen
Es ist verboten, nicht Erster zu sein
Es ist verboten, unterlegen zu sein
Die Antworten der männlichen Therapeuten
Der Quoten-Therapeut
Ich habe nichts gegen männliche Statusbedürfnisse. Das Streben nach Status ist bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen. "Statusmotiv" heißt ja übersetzt: Ich hab Bock, andere zu beeindrucken und ein Stück weit überlegen zu sein. Man(n) müsse bloß begreifen, dass man dadurch kein "besserer Mensch" werde. Das Statusmotiv ist ja nur dann ein Problem, wenn ich mein Selbstwertgefühl davon abhängig mache. Zu sagen "Ich finde es toll, die Nase vorne zu haben" - das ist doch mal ein gesundes Motiv.
Der Unternehmer-Therapeut
Jahrhundertelang hatte der Mann - als Familienoberhaupt, als Boss - das Sagen, einfach, weil er der Mann war. Seit das nicht mehr so ist, muss sich der Mann erklären. Das kann er aber nur, wenn er weiß, was in ihm vorgeht.
Der Mann-Therapeut
Was es für den emanzipierten Mann zu  gewinnen gibt, ist ein Selbst. Es ist vielleicht nicht immer schön, dieses Selbst, aber es ist wahr. Und es ist meins.
Der lonesome Cowboy, der einsame Wolf, der müde Krieger, er kann nun dem Sonnenuntergang entgegenreiten und sich selbst erzählen, was ihn bewegt. Die Frau an seiner Seite, hört ihm gespannt zu.


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