Nur ein Traum


Vorgestern Nacht wachte ich aus einem fürchterlichen Albtraum auf.
Ich war in Belgrad und wurde Zeuge eines Mordes in einem Taxi. Das Opfer war ein Freund und am liebsten hätte ich ihn sofort kontaktet, ob alles in Ordnung ist. Der Traum war sehr real und bescherte mir eine schlaflose Nacht.
Am nächsten Morgen verblasste die Sorge, denn mir fiel ein, dass ich einmal gehört hatte, dass wir uns im Traum nur immer wieder selber begegnen. Und ich fragte mich, welcher Teil von mir welchen Teil von mir niedergemetzelt hatte.

Seit einigen Jahren war es ein großer Traum von mir Bewusstseinsarbeit mit Kampfkunst zusammenzubringen. Ich habe ein "Wut-Seminar" angeboten, in dem Wut ausdrücklich gefühlt und zum Ausdruck gebracht werden durfte. Vor einigen Tagen schrieb ich einen Beitrag über "Raum für Wut". Und ich ahnte, dass mein Traum mit diesem Beitrag zusammenhing. Seit seiner Erstellung fühlte ich mich unwohl, las nach, verbesserte, hatte Bedenken, dass er als Aufruf zu Gewalt missverstanden werden könnte. Parallel beschäftigte mich die Auseinandersetzung mit einer "Autorität". Wenn mir etwas widerstrebt, sage ich es inzwischen. "Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt", das war meine Devise. Aber irgendetwas stimmte nicht mehr, etwas passte nicht mehr, als ob ich in Schuhen laufe, aus denen ich rausgewachsen bin, noch immer etwas verteidige, was nicht mehr verteidigt werden muss. Schattenboxen. Und mir fiel auf, dass beim "Ausleben meiner Gefühle", worunter auch spontane Meinungsäußerung zählt, etwas anderes auf der Strecke blieb. Gelebte Impulsivität massakriert die Selbstkontrolle und lässt mich über mich selbst hinausgehen (nicht wachsen), was mich aus meiner Mitte bringt. Den Freund, der in meinem Traum getötet wurde, schätze ich für sein hohes Maß an Diskretion, Zurückhaltung und Selbstkontrolle. Ich schade mir selbst, wenn ich meine Gedanken und Gefühle unkontrolliert nach draußen lasse.

Aber wie kann ich meine Gefühle wirklich kontrollieren? Wie kann ich meine Gedanken, die die Gefühle im Schlepptau tragen, kontrollieren? Wie kann ich meinen Geist kontrollieren?

Ich besuche seit Jahren Seminare, lese Fachliteratur, höre mir Meinungen an, probiere Methoden aus, von denen immer wieder neue sensationelle mit Sofortwirkungsfaktor auf dem Markt erscheinen. Wie die Waschmittel, so werden auch die Methoden immer verfeinerter und wirken noch tiefer und vor allem superschnell. Seit einiger Zeit erlebe ich ein Dejavu nach dem anderen. Alles kommt mir so bekannt, so vertraut vor, das habe ich doch so oder so ähnlich schon einmal gehört. Und der Kreis schließt sich. Bevor ich in den Selbstfindungsprozess in Form von Seminaren einstieg, beschäftigte ich mich mit Zen-Buddhismus. Ich habe eine große Schleife gedreht und komme zurück zum Buddhismus. Wie das so ist mit Lehren. Sie streuen ihre Samen aus und diese treiben bunte Blüten. Buddhas Lehren gehen rund um die Welt, bekommen einen neuen Kulturanstrich, werden mit Zeitgeistworten aufgepeppt, aktuellsten Erkenntnissen versehen und schon ist eine neue Methode geboren, ein Buch geschrieben oder ein Seminar auf die Beine gestellt. Was völlig in Ordnung ist, denn jeden erreicht etwas anderes. Vielfalt ist Leben. Alle Methoden haben ihre Berechtigung. Ich habe überall viel gelernt und bin sehr dankbar. Den meisten Methoden und Seminaren geht es um Heilung. Wer an sich selbst arbeitet, kommt irgendwann an den Punkt, an dem er merkt, dass die Dinge kein Ende nehmen. Hinter jedem Gelösten steht ein weiteres Nichtgelöstes. Es hört nicht auf. Heilung ist wichtig, sie ist eine Voraussetzung für Weiterentwicklung. Und doch liegt dahinter noch immer das Land des Leids. Denn Heilung bedeutet nicht automatisch, dass wir unsere ausgetrampelten Pfade an gewohnten Musterabläufen verlassen. Und genau die sind es, die uns leiden lassen. Wo ist die Erlösung?
Ich glaube heute, dass Geistheilung eine wichtige Komponente ist, um viele ungelöste Probleme in uns zu lösen. Für die Heilung gibt es mannigfaltige großartige Methoden und jeder fühlt sich von etwas anderem angezogen. Die Erlösung jedoch steckt in der Auseinandersetzung mit unserem Geist. Dafür müssen wir ihn kennenlernen, wissen wie er tickt, verstehen wie die Dinge zusammenhängen. Das erfordert Wille und Disziplin. Wir müssen unseren Geist erforschen, ihn beobachten, um dahinter zu kommen, wie unser Leid verursacht wird. All das Schöne, das wir anstreben - Liebe, Glück, Erfolg - kann auch Leid verursachen. Es trägt es sozusagen bereits in sich. Das Schöne in Händen zu halten trägt bereits die Angst es wieder zu verlieren in sich. Manchmal lassen wir es genau deswegen erst gar nicht an uns ran. Weil wir nicht wissen, wie wir damit umgehen sollen, wenn wir es wieder verlieren. Dann kann ich wieder eine Methode anwenden, die mir das Leid erleichtert, denn wegmachen geht nicht.
Wie wird Leid verursacht und wie kann ich mich davon erlösen? Die Antwort darauf liegt für mich im alten Wissen. Die letztendliche Wahrheit liegt für mich in der Essenz der Quelle, aus der alles entsprang.

Gestern Nacht löschte ich meinen Beitrag über den "Raum für Wut", denn Emotionen sind etwas, über das wir uns nur definieren. Es ist wichtig sie uns bewusst zu machen, sie bewusst in uns wahrzunehmen, uns ihnen zu stellen statt sie zu verdrängen. Leben wir sie aus, dann erhalten sie etwas Selbstanhaftendes. Sie machen uns wichtig, sie geben uns Bedeutung, sie stiften unsere Identität, indem wir ihnen Wichtigkeit geben. "Ich bin so wütend" oder "Ich lasse mir von niemandem mehr etwas gefallen", das kann uns für einen Moment gut fühlen lassen, die Kraft, die dem innewohnt, verpufft jedoch sehr schnell und hat nichts mit wahrer Stärke zu tun. In Wirklichkeit sind wir nicht unsere Gefühle, wir sind nicht die Wut, die aufblitzt. Unsere Emotionen sind das, was wir denken zu sein, sie sind das, was wir als unser Selbst bezeichnen und sie sind das, was uns von allem anderen trennt. In Wirklichkeit sind wir aber weit mehr als sie und das Festhalten an dem, was sie aus uns machen und wie sie uns reagieren lassen, macht uns lediglich zu ihren Gefangenen und wir lassen zu, dass sie uns aussaugen, wenn wir sie von uns Besitz ergreifen lassen, wenn wir ihnen zu viel Raum geben, wenn wir uns von ihnen bewegen lassen, wenn wir sie hochhalten, weil wir denken, ohne sie nichts zu sein. Emotionen sind Erinnerungen an Erfahrungen und sie folgen einem Gedanken. Nicht mehr und nicht weniger. Der Gedanke ist flüchtiger Natur, wenn wir nicht an ihm festhalten (wollen). Können wir Emotionen loslassen als das, was sie sind - Erinnerungen - befreien wir uns selbst.
Das ist für mich die Königsdisziplin, die hinter der Heilung steht. Dann geht es um Erkenntnis. Erkenntnis ist das eine, sie ins Leben zu bringen und zu verwirklichen das andere. Klingt leicht, braucht nur ein paar Worte, kann aber ein ganzes Leben beanspruchen.


It's a dream
Only a dream
And it's fading now
Fading away
It's only a dream
Just a memory without anywhere to stay
                                                      Neil Young "It´s a dream"




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