Und bitte schau freundlich ...

Gestern schrieb ich über eine Form der Traumaweitergabe.

Ich selbst weiß, welche Auswirkungen Übergriffe solcher Art auf die Entwicklung der Sexualität und damit der allgemeinen Entwicklung von Mädchen haben. Die gesunde Entwicklung wird empfindlich gestört. Wer nicht darüber reden darf oder kann, hat auch nicht die Möglichkeit zur Verarbeitung. Um mit den Dingen fertig zu werden, erfolgen häufig Reinszenierungen des Leids. Unterbewusst möchte man mit der Inszenierung von Leid auf das eigene empfundene Leid aufmerksam machen und tut sich nur selbst weh. Die Reinszenierungen haben vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten. Sie können in der Fantasie stattfinden (auch Selbsttötung) oder in selbstverletzendes Verhalten jeglicher Art, von Essstörungen, Alkoholismus bis zum Ritzen, übergehen. Das Eingehen von missbräuchlichen Beziehungen und daran Festhalten bis hin zur Depression kann darunter fallen.

Lange Zeit fragte ich mich, warum mich meine Mutter nicht aus missbräuchlichen Verhältnissen und Umständen befreite, obwohl ich sie darum bat. Sehr spät wurde mir klar, dass sie eine Leidensgenossin aus mir machen wollte. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Dabei war es aber so, dass mein Leid nie an das ihre herankam. Egal, was mir passierte oder welchen Umständen ich mich dann später aussetzte, meine Mutter hatte immer eine Trumpfkarte in der Hand. Ich hätte also leiden können bis zur Selbstaufgabe und wäre im Leidenskonkurrenzkampf doch immer die Verliererin gewesen.

In einem der Seminare, die ich besuchte, fielen dann die magischen Worte, die mir halfen die Dinge zu durchschauen und mich daraus zu befreien. Nicht selten ist es so, dass Kinder aus gestörten Familien in ihrer Entwicklung sabotiert werden und sich später selbst sabotieren. Der Grund dafür ist Solidarität. Wir dürfen nicht größer werden als unsere Eltern, nicht stärker, nicht freier, nicht autonomer, nicht erfolgreicher. Der Satz "Meinen Kindern soll es mal besser gehen als mir" ist nicht selten eine leere Phrase. Mir ging es immer besser als meiner Mutter, da mein Leid einfach nie an ihres heranreichte. Was in einer gesunden Familie erfreut, kann in einer gestörten Familie nicht selten zu Neid oder Hass führen. Damit ist schwer umzugehen. Um ein akzeptiertes Glied im System zu bleiben, machen wir uns selbst kleiner und lassen das Versagen unserer Eltern dadurch noch als kleinen Erfolg erscheinen.

"Und bitte schau freundlich, wenn es mir besser geht als dir"

Diese Worte wird keiner verstehen, der aus einer gesunden Familie kommt, die seine Entwicklung wohlwollend unterstützt hat.
Diese Worte sind gedacht für diejenigen, die sich für ihre Eltern demütigen. Denen vermittelt wurde, dass sie nicht genug sind, aber auch ja nicht zu viel werden dürfen.

Probiert es aus.
Stellt euch dem Elternteil gegenüber (das muss nicht real sein, klappt genauso in der Vorstellung), das von euch fordert, dass auch eure Schulkarriere schnell beendet ist (du bist zu dumm), dass auch eure Beziehung den Bach runtergeht (du bist nicht liebenswert), dass auch ihr für einen Hungerlohn arbeitet (du hast nicht mehr verdient), dass auch ihr gemobbt werdet (wer will dich schon als Freund). Dass ihr an der Welt leidet (du bist einfach unfähig).
Es funktioniert.
Schaut euch selbst freundlich an, wenn es euch besser geht als euren Eltern.
Weil ihr klug, liebenswert, wertvoll, freundlich, fähig seid.
Es ist eine Aufgabe, die es gilt zu erfüllen.
Für euren Wachstum und den eurer Nachkommen.
Letztendlich wachsen auch die Eltern daran.

***
Dieser Beitrag ist Teil eines Themas, das ihr auf meiner Homepage unter "Traumatisierte Familien -Stricke lösen" findet.


Beliebte Posts

Brief einer Mutter an ihren Sohn

Brief einer Tochter an ihre Mutter

Kontaktabbruch - Verlassene Eltern

Töchter narzisstischer Mütter

Kriegsenkel - Die Erben der vergessenen Generation

Du sollst dein Kind ehren

Esoterik I: Robert Betz - Der Mann fürs gewisse Zeitalter

Band ums Herz