Der Einfluss unserer Ahnen

Wenn unser Fokus auf etwas gerichtet ist, werden wir fündig.
Mein Interesse gilt den transgenerationalen Traumata und mir fiel ein Buchtipp in unserer Tageszeitung auf, der in der aktuellen Beilage sechs+sechzig/Ausgabe 3/2012 für Senioren steht.
Es geht um das aktuelle Buch "Die geheimen Ängste der Deutschen" von Gabriele Baring. Die Bildunterschrift zum Foto der Autorin lautet "Gabriele Baring wirft einen völlig neuen Blick auf unsere Gesellschaft".
Naja, so völlig neu ist der Blick nicht, da sind dem Autor des Artikels wohl die Bücher von Sabine Bode entgangen, die bereits 2004 mit dem Buch "Die vergessene Generation - Kriegskinder brechen ihr Schweigen" einen Auftakt startete, der mit "Kriegsenkel - Die Erben der vergessenen Generation" und "Die deutsche Krankheit - German Angst" (2006) seinen Lauf nahm.
Frau Bode ist Journalistin, Frau Baring ist Familientherapeutin.

Kann ein Krieg Menschen zerstören, die erst viele Jahre später geboren wurden?

Das ist die zentrale Frage. Und nicht nur Frau Bode, Frau Baring und Altbundeskanzler Helmut Schmidt sind sich einig darüber, dass die Deutschen zum Zweifeln und Zaudern neigen und oft depressiv sind.

Zitat Helmut Schmidt
Die Deutschen haben die Neigung sich zu ängstigen. Das steckt seit dem Ende von Nazizeit und Krieg in ihrem Bewusstsein.
Zitat aus dem Artikel
Nach den Erkenntnissen der Autorin und Familientherapeutin sind es vor allem unbearbeitete Themen, der Schmerz, die Trauer, der Schock der früheren Generation, die so lange nachwirken. Positive wie negative Eindrücke hinterließen ihre Spuren in der Familie. Nichtaufgearbeitete Traumata der Vor-vor-Generationen hätten Einfluss auf das Hier und Jetzt. Vergewaltigungen, Verletzungen, alle erlebten Gräuel der Kriege würden weitervererbt. Ein Beispiel für die gewagte These: Wenn der Vater die Tochter misshandelt, liege es auch an der Mutter, die auf diese Weise die nicht erfüllte Sexualität des Mannes auf das Kind übertrüge. Baring behauptet, die Mutter gibt das weiter, was sie nicht erfüllen kann, sie schaut nicht weg, wie so oft gesagt werde, sie trägt zur Tat bei. Die Angst bleibt innerhalb der Familie, sie bleibt geheim
Und ich frage mich, wie viele Geheimnisse welcher Art hinter jeder einzelnen Haustüre schlummern. Was in unseren Familien wirkt, ohne im Bewusstsein der einzelnen Mitglieder zu sein.

Zitat Autorin
Ohne den Blick auf die tiefere Dynamik der eigenen Familie, ohne die Einsicht in das dichte Gewebe von Individual- und Kollektivgeschichte sind weder Erkenntnis noch Heilung möglich. Durch die Auseinandersetzung mit dem Schicksal unserer Ahnen könne verhindert werden, dass die folgenden Generationen seelischen Schaden nehmen
Und die Familientherapeutin, Autorin und Mutter zweier Kinder tut etwas, was bisher nicht durchgedrungen ist. Sie hat den eigenen Anspruch ihrer Familie so wenig unbearbeitete Themen wie möglich zu hinterlassen.

Mehr von diesen Büchern und es dringt vielleicht ins Bewusstsein, dass wir nicht nur ein materielles, sondern auch ein emotionales Erbe an unsere Nachfahren weitergeben, für das wir die Verantwortung tragen.

Im Buch von Gabriele Baring wird mit Stammbaumbeispielen die Verdrängung in den Familien prominenter Politiker wie Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, Ex-Bundespräsident Christian Wulff oder Ex-Verteidigungsminister Theodor zu Guttenberg beschrieben.

Zitat Autorin zu Guttenberg
Man kann sein Verhalten auch so deuten, dass dieser brillante Mann unbewusst sein eigenes Scheitern organisierte, weil er dem Familienauftrag von Ruhm und Glanz nicht mehr folgen wollte
Zu Guttenberg schaufelte sich unbewusst sein eigenes politsches Grab, um anders leben zu  können, als es die Familie vorgab?

Der Artikel schließt mit
Eine spannende Neuerscheinung mit vielen interessanten Aspekten und Denkansätzen. Möglicherweise hat die Autorin damit eines der wichtigsten Sachbücher der letzten Jahre geschrieben. Ein Plädoyer für die offensive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, damit die Deutschen sich selbst wieder annehmen können
In meinen Posts "German Angst" und "Ein System, für das es noch keinen Namen gibt"  habe ich mir bereits Gedanken zu diesem Thema gemacht.

Ich freue mich über dieses Buch von Frau Baring, das weitere Aufschlüsse darüber gibt, wie die Vergangenheit unser heutiges Leben beeinflusst. Den Blick nach vorne richten kann man eben oft nur dann, wenn man das, was hinter einem liegt, verstanden hat. Und das geht über die eigene Vergangenheit manchmal weit hinaus.
Ich lebe jetzt und muss die Vergangenheit verstehen, um die Zukunft leben zu können. Sonst bleibe ich ein Spielball von Einflüssen, die unbewusst in meinem Leben wirken.



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