Eigentum schafft Eigentümlichkeit

Gestern las ich einen Artikel über Jean Améry (1912 - 1978). Der Artikel trug die Überschrift "Die Vielen und ihr Eigentum".
Beschrieben wurde ein Hafterlebnis von Améry, das ihn zu der Erkenntnis brachte, dass wir aus Eigentum unsere Eigentümlichkeiten entwickeln. Wird uns unser Eigentum genommen, verlieren wir unsere Eigentümlichkeiten und damit unsere Identität.
Das Leben in Haft unterscheidet sich vom Leben in relativer Freiheit.
Ich kenne Leute, die alles Materielle verloren haben. Letztendlich bleiben die, die ein wirkliches Interesse an der Person haben. Familie und Freunde, die bereit sind einem die Hand hinzuhalten. Mit ihrer Hilfe können wir wieder aufstehen. Und das ist was zählt.
Nicht auf der Strecke bleiben, sondern aufstehen, neu beginnen, weitermachen. Leben.

Améry sagte, dass ihm durch das Nehmen von Kleidern, Schuhen, Haaren sein "phänomenaler Raum" zerstört wurde. Der Raum, in dem er durch Eigentum Gebärden und Gewohnheiten, eben seine Einzigkeit, entwickeln konnte. Und dass das Verlangen nach wahrhaft unveräußerlichem Eigentum, nach Ausschließlichkeit eines je so und nicht anders gearteten Besitzes, in der Grundkondition der Körperlichkeit wurzelt. Weil am Anfang nicht das Wort, sondern die Erfahrung ist, nicht der Geist, sondern der Leib.
Eigentum schafft Identität. Identität definiert unser Ego. Ohne Eigentum also kein Ego.
Wie wichtig ist unser Ego und damit unser Besitz?

Am Ende des Artikels wurde folgendes zitiert:
So wie ich meinen Körper habe, der den anderen Körper zwar unter Umständen ersehnt, ihn aber allerwegen auch scheut, so verlange ich auch nach einem phänomenalen, diesen Körper in die Weite führenden Raum.
...
So wie ich an anderer Stelle den Freiheitswunsch auf das Bedürfnis nach Atemfreiheit glaubte zurückführen zu dürfen, so meine ich, dass die Forderung nach Eigentum ein Derivat des Dranges nach physischer Bewegungsfreiheit ist - und: nicht zuletzt Sublimierung des Verlangens, mir etwas einzuverleiben, denn auch in der Zuführung von Speisen erweitere ich meinen Körper, diesen letzten und äußersten Bezugspunkt meines Ich.
In einer meiner Ausbildungen haben wir die kosmischen Gesetzmäßigkeiten durchgenommen. Eine dieser Gesetzmäßigkeiten lautet:
Wie im Innen so im Außen und wie im Außen so im Innen oder Mikrokosmos gleich Makrokosmos und Makrokosmos gleich Mikrokosmos.
Was bedeutet: In einem jeden kleinsten Teil von uns ist alles enthalten, was das große Ganze ausmacht. Eine Zelle spiegelt das Universum.
In einer Gruppe stellte ich einmal die These auf, dass jeder von uns ein Planet in seinem eigenen Universum ist. Wie die Erde, auf der wir wohnen, drehen wir uns immerwährend um die eigene Achse, sind wir nicht zentriert, fangen wir das Eiern an. In unserer Selbstzentrierung versuchen wir alles zu halten, was zu uns gehört, was uns zu dem Planeten macht, der wir sind. Wir üben unsere Anziehung aus. Ereignet sich auf unserem Planeten ein Tsunami, können wir anderen Planeten davon berichten und ihnen einen Rat geben, wie sie es vermeiden oder managen können. Es kann aber immer nur ein Rat bleiben, denn auf jedem Planeten herrschen unterschiedliche Zustände. Keiner gleicht dem anderen.

Wenn wir eine Abbildung des großen Ganzen sind, dann es ist für uns nur natürlich, dass wir genau so in der Ausdehnung sind, wie es das Universum ist. Wohin sich das Universum auch ausdehnt, wir tun es ihm gleich. Wie ist Ausdehnung, das Vergrößern unseres phänomenalen Raums möglich, wenn wir mit anderen Universen überschneiden? Kann es sein, dass sich, so wie sich unsere phänomenalen Räume in einer überbevölkerten Welt überschneiden (müssen), auch Universen überschneiden? Keinem von uns ist der phänomenale Raum eines anderen wirklich ersichtlich. Der materielle Raum ja. Wir sehen das Ausmaß eines Grundstücks mit Pool und zwei Doppelgaragen, in denen vier Autos geparkt sind. Ist es nur der materielle Raum, den wir uns schaffen müssen um uns zu identifizieren oder gibt es da auch etwas wie einen "geistigen phänomenalen Raum", in den wir uns ausdehnen wollen?
So wie sich die Körperumfänge vieler Menschen auf dieser Erde ausdehnen und sie damit, laut Améry, ihre äußersten Bezugspunkte weiter stecken, könnte es doch auch ein Bestreben nach Ausdehnung der innersten Bezugspunkte geben. Ein Bestreben nach Ausdehnung all dessen, was uns innerlich definiert, was nicht wirklich sichtbar ist. Wohin könnte es sich ausdehnen? Und was sind die maximalen Bezugspunkte bevor wir explodieren oder implodieren?




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