Die Welten in der Welt

Der Autor des Buches "New (C)Age", Johannes Fischler, studierte nicht nur Psychologie, sondern absolvierte auch Zusatzausbildungen im Wirtschafts- und Finanzbereich sowie im Online-Marketing. Kein Wunder also, dass er sich so gut in Marketing-Strategien auskennt.
Sehr interessant finde ich seine Ausführungen zu den "Welten in der Welt". Sein Buch soll ja die Machenschaften des Esoterik-Imperiums aufzeigen. Dazu bringt er immer wieder Vergleiche wie das auch in der "realen Welt" funktioniert. Eine "Welt in der Welt" ist zum Beispiel das Macintosh-Imperium. Wer kennt sie nicht, die hartgesottenen Mac-Nutzer oder eingeschworenen iPhone-Besitzer, die nie auch nur ein Produkt ohne den angebissenen Apfel aus dem verheißungsvollen Paradies erwerben würden.
Wurden Sie jemals von einem Windows-User zum Umstieg gedrängt? Vermutlich nicht, weil eben genau dieses religiöse Etwas die besondere Atmosphäre des Apple-Kosmos ausmacht. Das Kollektiv entwickelt Korpsgeist. Alle sind dabei und jeder empfindet sich als wichtig. Dabei wirkt man hier als Teil eines gemeinsamen Projektes. Gelebt wird die Markentreue. Je mehr Anhänger mitziehen, umso erfolgreicher die Unternehmung, desto erlösender die Teilhabe. Moderne Markenwelten verstehen sich zusehends als gemeinschaftlicher Werbefeldzug, eben als Prosumer-Movement.

Bevor es der Esoterik an den Kragen geht, bringt Johannes Fischler Beispiele unserer Verführbarkeit als Konsumenten, in denen sich jeder wiedererkennen kann, wenn er denn will. Wir sind inzwischen in vielen Bereichen bereits "Aura-Käufer". Obwohl wir uns für vernünftige Menschen halten, die auf Nachhaltigkeit achten und umweltbewusst sind, steht in vielen Haushalten eine Kaffeemaschine, die Kaffee auf eine magische Weise herauslässt, so dass wir bereitwillig 66 Euro für ein Kilo Kaffee ausgeben und den Müll dazu in Kauf nehmen.
Was das Macintosh-Universum für das iPhone liefert, besorgt die Welt des roten Bullen für ein an sich harmloses Gummibärchengetränk. Beide versorgen das Produkt mit einer ordentlichen Ladung Lifestyle. Die Träger dieses Lebensstils, ihre Zeichens die Konsumierenden, besiedeln wiederum eine weitere dieser unzähligen "Worlds of". Und so wird ein handelsüblicher Artikel, ob nun Telefon oder Energy-Drink, zur Kernaussage eines sehr besonderen "In-der-Welt-Seins". Nicht von ungefähr hat auch ein namhafter Schweizer Nahrungsmittelriese ganze fünf Jahre in die Produktentwicklung schicker kleiner Kapseln investiert. Denn erst die Implementierung des notwendigen Brandlands konnte Millionen dazu bewegen, von nun an umgerechnet 66 Euro für ein Kilo Kaffee auszugeben und obendrein unsere Mülleimer mit Einweg-Aluminiumkapseln vollzustopfen. Und das immerhin in Zeiten, in denen das Haushaltsbudget der breiten Masse zusehends schrumpft und Umweltbewusstsein schon lange zum Bekenntnis schlechthin erhoben wurde.
Dieser besondere Wesenszug, der scheinbare Irrsinn rund um etablierte Markenartikel, hat Methode. Denn gut ausgeklügelte Brandlands appellieren keinesfalls an unsere Vernunft. Ob nun das hochpreisige Notebook oder enkapsuliertes Koffein ums zehnfache Geld - es zählt eben nicht mehr die Logik einer monetären Kosten-Nutzen-Rechnung, geschweige denn ein nachhaltiger Umgang mit natürlichen Ressourcen. Warum? Dafür gibt´s gute Gründe. Gerade bei sogenannten "starken Marken" betreten wir eine Art "Anderswelt". In dieser sind Anschluss und Aufmerksamkeit das Maß aller Dinge.
Anhänger des Macintosh-Universums leben in der "richtigeren" Elektronikwelt und Kaffeegenießer mit alumiumhaltigem Mülleimerinhalt genießen den "besseren" Kaffee. Je mehr andere dieser "Welt in der Welt" angehören, desto richtiger und angebunder fühlen wir uns. Dass die "richtigeren" Welten auch die teureren sind, lässt uns zusätzlich wertvoll erscheinen. Gutes und Richtiges lassen wir uns gerne was kosten. Es geht nicht mehr um die Qualität des Produktes, sondern die "Aura", die wir damit verbinden, das Lifestylegefühl.

Verkauft die Werbung noch Produkte, so ist das Esoterik-Imperium eine Weiterentwicklung der psychologisch durchgefeilten Marketingstrategien. Auf einer höheren Dimension. Sie steigt aus der materiellen Dimension (3D) auf in die feinstoffliche (immaterielle) und verkauft dort das "Nichts" zu horrenden Preisen.
"Wenn weniger mehr ist, dann ist das Nichts vielleicht Alles" (Zitat aus dem Buch)
Haben unserer Vorfahren noch Tauschhandel betrieben und unsere Eltern ungern Ware mit Bankkarte bezahlt, sind wir bereits eine Generation, die es gewohnt ist keine "Materie" zu produzieren. Wir klopfen Zahlen und Buchstaben in rechteckige Kästchen und erhalten für unsere "geistige" Arbeit Zahlen und Buchstaben, die wir über rechteckige Kästen einsehen können. Wir zahlen Produkte wiederum mit Zahlen und Buchstaben, indem etwas Rechteckiges in ein Kästchen geschoben wird. Wir produzieren "Immaterielles" und erhalten "Immaterielles". Wir haben uns eingelebt ins Nicht-Materielle. Alles, was wir noch brauchen, sind rechteckige Kästen und Kästchen. Der Umgang mit dem "Nichts" liegt uns bereits im Blut. Schöne digitale Welt (in der Welt?).

***

Eine Übersicht zum Thema finden Sie auf meiner Website unter "Esoterik - eine Reflexion".




Beliebte Posts

Brief einer Mutter an ihren Sohn

Brief einer Tochter an ihre Mutter

Kontaktabbruch - Verlassene Eltern

Töchter narzisstischer Mütter

Kriegsenkel - Die Erben der vergessenen Generation

Du sollst dein Kind ehren

Esoterik I: Robert Betz - Der Mann fürs gewisse Zeitalter

Band ums Herz