Liebe dich selbst! Und wie?

Warum verletzten uns ausgerechnet die Menschen am tiefsten, mit denen wir uns am engsten verbunden fühlen?
Weil wir sie in unseren innersten Kreis vorlassen und sie dort unseren Wunden näher sind als alle anderen.

Wir reagieren unterschiedlich, wenn uns ein geliebter oder vertrauter Mensch "verletzt". Manchmal ziehen wir uns zurück und werden traurig, manchmal werden wir wütend und denken uns verteidigen zu müssen, manchmal resignieren wir und verlieren die Hoffnung. Kurz- oder längerfristig werfen wir den Unruhestifter in Gedanken oder im Leben aus unserem innersten Kreis. Er erhält Hausverbot, damit wir in Ruhe unsere Wunden lecken können, die immer und immer wieder aufgerissen werden. Irgendwann fragen wir uns, ob wir uns mit den richtigen Menschen umgeben, warum ausgerechnet wir immer an die geraten, die uns verletzen anstatt uns zu lieben.

Diese Verletzungen sind Liebe.

Diese Verletzungen sind Aktivierungen eines Musters, das läuft und läuft und die geliebten Menschen, die uns so sehr verletzen, geben uns die Möglichkeit uns dieser Muster bewusst zu werden. Der Fehler liegt selten in ihnen und ihrem Verhalten, die Störung liegt bei uns. Sie machen uns mit ihrem Verhalten lediglich darauf aufmerksam.
Einem anderen weh zu tun, damit er heilen kann, was wund ist, das ist Liebe. Seinen Unmut auf sich zu ziehen und ihn auszuhalten, weil er es nicht besser weiß, das ist Liebe. Sich daraus ergebenden Beschuldigungen und Vorwürfen auszusetzen ist Liebe. Aber meistens wissen wir es beide nicht.
Wir haben nicht gelernt die Liebe in Verletzungen zu sehen. Uns wurde gelehrt, dass Liebe ein Verhalten ist, das uns im Opferstatus verharren lässt. Wir haben nicht gelernt auf unsere eigene Stärke zu vertrauen. Wir brauchen jemanden, der kommt, uns aushält, uns trägt, uns versteht mit all unseren Macken, Ecken und Kanten, Wunden und Narben. Uns wird etwas als Liebe vorgemacht, was uns letztendlich schadet, was uns klein hält, was uns die Möglichkeit gibt immer jemand anders die Schuld an unserem eigenen Befinden zu geben, was uns auf einen anderen angewiesen sein lässt.
Unser Verständnis von Liebe ist arm. Wenn wir niemanden haben, der uns liebt, uns versteht, für uns sorgt, sind wir arm. Haben wir dann jemanden gefunden, der unseren Vorstellungen entspricht, tut er das bestimmt nicht auf Dauer, wir fragen uns wie sich dieser Mensch so sehr verändern konnte, er war doch mal so lieb und wir fühlen uns wieder beraubt und arm. Unsere Vorstellung von Liebe macht uns arm. Sie macht uns zu Bedürftigen.
Wann macht Liebe reich?
Nun könnte ich aufzählen, was in so vielen Büchern und Seminaren gelehrt wird oder euch die wichtigste aller Botschaften, die kursieren, weitergeben "LIEBE DICH SELBST!" und alles wird sich in Wohlgefallen auflösen. Tolle Wurst und wie mache ich das? Vielleicht gibt es Leute, die das mit einem Fingerschnippen beherrschen, ich gehöre bestimmt nicht dazu. All die guten Tipps funktionieren bei mir nicht. Ich muss meinen eigenen Weg gehen, auf den vorgetrampelten Pfaden fühle ich mich unwohl. Ich kann immer nur dem folgen, was in mir ist und ich habe schon lange genug gebraucht um wieder einen Zugang zu dem zu bekommen, was in mir ist.

Ich möchte euch meine Geschichte dazu erzählen:

Letzten Sommer stand ich mit bemehlten Händen in unserer Küche und wartete auf meinen Mann und seinen Freund, die einkaufen waren und mir Quark für die gewünschten Aprikosenknödel mitbringen sollten. Da stand ich und wartete und wartete und keiner kam. Ich wurde sauer. Aber vielleicht ist etwas dazwischen gekommen, der Tank war leer und sie mussten noch zur Tankstelle fahren oder es ist etwas passiert? Ich schwankte zwischen Sorge und Ärger. Unser Freund war auf Besuch, das Essen war eingetaktet, damit er pünktlich weiterfahren konnte und er wünschte sich meine selbstgemachten Knödel, für die ich nicht alle Zutaten hatte. Ich wartete .....
... und sie kamen, fröhlich, ausgelassen, spät. Die Sorge war weggeblasen, der Ärger wuchs. Sie waren in der Stadt, einen Kaffee trinken, ach ja, sie haben vergessen mir Bescheid zu sagen. Etwas in mir stieg von 150 auf 360 und alles, was ich noch geistesgegenwärtig tun konnte, war, mich selbst aus dem Verkehr zu ziehen, bevor ich eine 1a Szene hinlegte. Ich verließ die Küche mit dem halbfertigen Teig, gewaschenen entsteinten und mit Zuckerwürfel gefüllten Aprikosen, zwei entgeisterten Männer und zwei verständnislosen Kindern. Wusch mir die Hände, zog meine Jacke an und schwang mich aufs Rad. Nix wie weg ......

Luft anhalten und bis zehn zählen, mir sagen, das wäre nur ein Gefühl und ich bin nicht dieses Gefühl, eine Schweigepause einlegen, Mitgefühl für alle Beteiligten enwickeln. NEIN! Alle diese gutgemeinten Tipps lösen sich in Rauch auf, denn ich BIN Wut. Es ist wie es ist und alles, was ich bisher getan hatte, um mit dieser Emotion umzugehen, schien null und nichtig gewesen zu sein. Ich war so sehr Wut, dass ich die Männer am liebsten mit den Aprikosen beworfen, den Teig an die Fensterscheibe geklatscht und zusätzlich laut geschimpft und geflucht hätte. Das hätte eine gute Geschichte gegeben und für einen Moment hätte ich mich befreit gefühlt, aber geendet hätte es in der Scham.
Und so fuhr ich an einen Ort, wo ich meine Wunden lecken und mich all den Gefühlen, die sich zeigten, überlassen konnte. Ich schimpfte und ich fluchte bis die Tränen kamen, fühlte mich alleinegelassen, ausgeschlossen und verraten. Und wusste genau wo ich rauskomme.
In einem Erlebnis aus meiner Kindheit.
Ein geliebter Mensch gab mir ein Versprechen und hielt es nicht ein. Zwei Personen gehen und lassen mich zurück. Das Versprechen ist ganz schnell vergessen und sie haben Spaß ohne mich. Ich warte und warte auf die Einlösung des Versprechens. Ich fühle mich gefangen und ticke aus. Die Strafe dafür ist hart. Die Schuld bleibt bei mir.
Das Erlebnis hinterließ eine tiefe Wunde, die nicht heilen wollte. Bis letztes Jahr stand ich am Fenster und wartete auf das Einlösen des gegebenen Versprechens, auf das Ende des Verrats.

Das emotionale Erleben dieses Ereignisses wiederholte sich, immer und immer wieder, in unterschiedlichen Variationen, mit unterschiedlichen Protagonisten. Die Welt schien voll von Menschen, denen ich vertraute, damit sie mich verraten konnten. Und ich wartete und wartete ..... das Warten schien mir am schlimmsten, es hielt mich gefangen, unbeweglich. Es hat lange gedauert, bis mir klar wurde, dass ich nicht mehr in einer Institution gefangen bin, dass ich nicht mehr vier Jahre alt und ausgeliefert bin, dass mich keiner mehr bestrafen und einsperren kann. Dass ich mich entscheiden kann mit dem Warten aufzuhören. Dass ich nun gehen kann. Ich darf gehen und muss niemanden um Erlaubnis bitten. Ich kann mich selbst befreien, indem ich einfach gehe.

Letztes Jahr habe ich mich an die Wand gefahren und man könnte sagen, dass ich überreagiert habe. Ja, eindeutig, das habe ich. Ich habe überreagiert. Die Wunde, in der gestochert wurde, hat mich an die Decke gehen lassen. Es ist in Ordnung. Es ist meine Störung, die zum Vorschein kam. Was hat mein Mann schon getan? Er hat sich eine Auszeit gegönnt, Spaß gehabt und mich darüber vergessen. Dass ich solch ein Verhalten als Hochverrat empfinde, kann er nach 27 Jahren noch immer nicht nachvollziehen. Bin ich über meine Störung endgültig hinweg, weiß ich, dass ich nicht mehr warten muss und gehen kann. Das kann ich tun, bevor ich Gefahr laufe auszuticken. Ich kann dafür sorgen mich bereits viel früher aus dem Verkehr zu ziehen, ich muss nicht mehr warten, bis die Situation eskaliert.
Das lerne ich gerade. Es gibt Menschen, die nicht verstehen, warum ich so schnell die Bremse ziehe und gehe, aber es sind ja nicht sie, die mich verstehen müssen, sondern ich muss verstehen, wann der richtige Zeitpunkt für mich gekommen ist zu gehen. Es ist meine Wunde, sie wird immer da sein, aber ich kann dafür sorgen, dass keiner mehr unachtsam darin herumstochert. Ich weiß nun, wo sie liegt und ich schütze sie, so gut es geht.

Wie die Geschichte ausging?
Ich habe etwas getan, was mir sehr schwer fällt - Schwäche zugeben und um Hilfe bitten. Mein Mann holte mich aus meinem Versteck und brachte mich nach Hause. Es war keine Wut mehr da, kein Vorwurf, nur ein Kater. Ich erzählte ihm von meinen Gefühlen, die durch sein Verhalten ausgelöst wurden und dem Kind, das sich noch immer so entsetzlich verraten fühlt, wenn Absprachen missachtet werden und es sich gezwungen fühlt zu warten. Das konnte er verstehen. Um ihm das verständlich zu machen, musste ich erst lernen mich zu verstehen. Als Erwachsene hielt ich mein Verhalten selbst oft für kindisch und verurteilte mich für meine bitteren Gefühle, die so heftig kamen. Diese Gefühle sind Ausläufer, hinter denen eine Geschichte steckt. So lange das Zentrum der Geschichte nicht ausfindig gemacht ist, schlägt es immer wieder in Wellen aus.
Liebe dich selbst bedeutet für mich Verständnis für mich zu entwickeln. Wenn ich sehe wie komplex die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung in meinem eigenen Leben sind, kann ich auch anderen gegenüber milder sein.
Wie auch immer sie sich verhalten, ich kenne ihre Geschichte nicht, die dahinter steckt. Kindisches Verhalten im Erwachsenenalter deutet oft auf ein verletztes Kind hin. Der Schmerz des Kindes wird real und direkt erlebt. Wer könnte das verurteilen?

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Ähnlicher Artikel: "Du sollst dein Kind ehren"

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Eine Zusammenfassung zum Thema finden Sie auf meiner Website unter "Dämonenloch".





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